Zwei Wochen
- Johanna
- 28. Sept. 2022
- 5 Min. Lesezeit
Ich hab mich so ans Reisen gewöhnt, dass gefühlt nichts anderes hinter oder vor mir liegt. Als ich aus London losgezogen bin, erschienen mir die zwei Monate eeeewig lang, das Ende so weit weg, dass ich es nicht mal erahnen konnte. Doch wie immer, die Nächte vergingen noch schneller als die Tage, die Landschaften zogen vorbei, die Städte hatten andere Namen. Aber nun ist das Ende mehr als erahnbar. Heute in zwei Wochen werde ich zu Hause sein. In meinem alten Zimmer, voll mit meinem Kram, den ich seit meinem Auszug nicht wirklich beachtet habe. Und natürlich, das Heimweh wandelt sich gerade in Fernweh um.

Das Überraschendste an meiner Reise ist wahrscheinlich die Kontinuität, mit der ich gebloggt habe. Aber es ist immer schön, wenn meine Freunde und Familie wissen, dass ich noch lebe und mich nicht völlig in der Gegend verirrt habe (das ist nur zwei oder drei Mal beim Wandern passiert). Und es war und ist immer noch ein gutes Gefühl, mich wieder an alles zu erinnern, was passiert ist. Der Blog ist zu meinem offenen Tagebuch geworden, das ich mit Eindrücken, Gefühlen und Bildern fülle.
Als ich den letzten Blog schrieb, war ich in Glasgow, meiner letzten Station in Schottland. Die Jugendherberge war ein riesiger Klotz, und in dem Zimmer mit mir schliefen noch 13 andere Leute. Nein, ich habe nicht geschlafen, weil gefühlt zu jeder Stunde der Nacht jemand dachte, er oder sie müsse auf die Toilette, rausgehen oder zurückgehen. Der einzige Vorteil war, dass ich am Morgen, wenn alle weg waren, einfach weiterschlafen konnte und das Zimmer leer war. So konnte ich mich auch nach der ersten Nacht im Zimmer umziehen. Nun, vielleicht hätte ich das nicht direkt vor dem Fenster tun sollen. Schon als ich meine Jeans anzog, hörte ich Schreie und Lärm von draußen, aber naiv und leichtgläubig wie ich bin, habe ich nicht nach draußen geschaut. Erst als ich mein Hemd auszog (nein, ich hatte nichts drunter) und der Lärm von draußen völlig eskalierte, drehte ich mich um und sah nach draußen. Das war Fehler Nummer zwei. Etwa 12 Bauarbeiter, die von den Gerüsten des Gebäudes auf der anderen Straßenseite einen freien Blick in den Raum hatten, starrten mich an, grölten, pfiffen und hämmerten gegen das Geländer. Ja, sie winkten ihren Kumpels zu, damit auch sie etwas von der Aussicht abbekamen. Wenn es das dunkelste Rot nicht gäbe, hätte ich es in diesem Moment mit meiner Gesichtsfarbe erschaffen. Mit einem Schritt rettete ich mich in den Schatten, wo mich die Bauarbeiter nicht sehen konnten. Definitiv ein Start in den Tag, den ich nicht noch einmal brauche.
Abgesehen von den Bauarbeitern am Morgen, war Glasgow wirklich schön. Vieles kannte ich schon, weil meine Schwester damals ihr Erasmus in der Stadt gemacht hat. Ich besuchte die Frauenbibliothek, eine von etwa 70 in der Welt, sprach mit der Bibliothekarin und stöberte in den Regalen. Dann ging ich zu einem alten Friedhof auf einem Hügel, von dem aus ich einen schönen Blick über die Stadt hatte.
Am nächsten Tag nahm ich die Fähre nach Belfast. Es hat mich viel Mühe gekostet, auf dieses Ding zu kommen. Wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann sind es Boote und Brücken. Aber die Fahrt ging Gott sei Dank ziemlich schnell vorbei.
Belfast ist eine der Städte, die ich für sehr unterschätzt halte. Ich hatte eigentlich keine Erwartungen, aber mir hat die Stadt unglaublich gut gefallen. An jeder zweiten Hauswand gibt es Straßenkunst, und es sind diese riesigen Graffiti, die eher wie Gemälde aussehen und mit viel Liebe zum Detail geschaffen wurden. Man konnte die irische Geschichte in fast jeder Ecke spüren. Mir war nie so recht bewusst, was die Teilung dem Land angetan hatte und wie sehr die Menschen das Vereinigte Königreich verachteten. Die meisten der Straßenkunstwerke waren politisch und forderten die Menschen auf, für ein wiedervereinigtes Irland zu kämpfen.
Die Jugendherberge in Belfast war relativ komfortabel, mit zwei Italienern und einem Kanadier in meinem Zimmer. Vor meiner letzten Nacht zogen ein Franzose und ein anderer Mann in das Bett unter mir. Der Franzose war wirklich nett, nur leider waren beide Typen Schnarcher. Irgendwann werde ich eine Petition für schnarchende Zimmer in Jugendherbergen starten. Während der Franzose ziemlich konstant schnarchte, war der Typ unter mir nicht nur unglaublich laut, sondern bewegte sich auch so viel, dass ich nachts fast aus dem Bett fiel. Ich begann so etwas wie einen kalten Krieg: Jedes Mal, wenn er zu schnarchen begann, rüttelte ich am Bett, weckte ihn auf und er hörte auf. Nur war er dann so sauer auf den schnarchenden Franzosen, dass er meine Schuhe nahm und sie nach dem anderen Kerl warf. Gott, wer wirft denn nachts mit Schuhen nach anderen Leuten?!
Nach Belfast erwartete mich das absolute Paradies: Derry. Nicht unbedingt, weil Derry so eine tolle Stadt ist, nein, ich war in einem Airbnb. Keine schnarchenden Typen, niemand, der mit Schuhen wirft, und keine Gaffer vor dem Fenster. Nur ich, allein in einem großen Bett, und niemand, der mich störte. Ich hatte fast vergessen, wie sich Privatsphäre anfühlt.
Es ging weiter nach Sligo, wo ich im Lidl eine Deutsche kennenlernte, mit der ich abends noch in den Pub ging. Genau diese zufälligen und spontanen Begegnungen machen das Reisen für mich aus. Man weiß nie, wen man an welchen Orten trifft. Sligo hab ich auch sehr positiv in Erinnerung, ein süßes Städtchen mit Fluss und vielen unabhängigen Läden.
Und es folgte sogleich das zweite Paradies. Auch in Ennis hatte ich ein Airbnb, da die Hostels alle ausgebucht waren. Es war noch krasser als das erste, ich hatte ein eigenes Bad! Purer Luxus. Das Bett war so groß, dass ich mich zwei mal umdrehen konnte, ohne aus dem Bett zu fallen.
Von Ennis aus nahm ich gestern den Bus zu den Cliffs of Moher. Ich glaube, das war einer der schönsten Orte, an denen ich bis jetzt gewesen bin. Tiefblaues Wasser, satt-grüne Wiesen, dunkelgraue Felsen und schneeweiße Schaumkronen umgaben den Wanderweg. Die Sonne war so stark, dass ich einen Abdruck von meinen Rucksackträgern auf dem Rücken hab. Aber der Hitze zu Trotz lief ich den Klippenpfad entlang. Vom Meer wehte ab und zu Salzgeruch hoch. Der Himmel war so klar, dass man die anderen Inseln vor der Küste am Horizont erkennen konnte. Es war einer dieser Orte, der einem mit seiner Schönheit den Atem raubt.
Nun bin ich Cork und realisiere, dass Freitag mein letzter Tag in Irland sein wird. Dienstag geht es nach Dublin, von wo ich die Fähre (bah) nach Wales nehme. Drei Nächte im Nationalpark, eine in Cardiff. Dann muss ich London für eine Weile verabschieden. Drei Nächte in Paris und von da komme ich nach Deutschand zurück. Ein komischer Gedanke. Aber wahrscheinlich werde ich mich an Zuhause genau schnell gewöhnen, wie ich mich ans Reisen gewöhnt hab.
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