Gewisse Ungewissheit
- Johanna
- 30. Sept. 2024
- 6 Min. Lesezeit
Wie immer, das aktuelle Setting: ein kleines Café in Brüssel, Hochstuhl, Barplatz, beschlagene Fensterscheiben, der Geruch von Kaffee in der Luft. Draußen nieselt es und ich bin sehr dankbar für meine Rollkragenpulli-T-Shirt-Cardigan-Kombi (sollte heute definitiv nicht auf einer Fashion-Week auflaufen). Eigentlich schlage ich gerade nur ein bisschen Zeit tot, und wie ihr alle wisst, mache ich das am Liebsten mit Bloggen. Der Titel ist zwar noch nicht so der Banger, aber das war noch nie meine Stärke, deshalb habe ich mich mit wenig einfallsreichen Überschriften abgefunden. Vor ein paar Tagen habe ich mir nochmal den letzten Blog durchgelesen und beschlossen, dass es Zeit für ein paar Updates ist! Hier kommen die neuesten Neuigkeiten aus dem Post-Master-Leben.

Ich muss gerade noch überlegen, wie ich den Spaß hier aufbaue, aber ich denke mal, chronologisch ergibt meistens Sinn. Wie die meisten wissen, ist Rotterdam viel zu schnell zu Ende gegangen. In einem Jahr ist so viel passiert, so viel gut- und schlecht gelaufen, dass es völlig surreal war, dass es auf einmal vorbei sein sollte. Und doch war dann die neue Realität nur eine Zugfahrt weit weg. Als ich mit meinem viel zu vollen, viel zu schweren, und viel zu unhandlichen Koffer in Berlin ankam, musste ich direkt wieder anfangen zu heulen, wie schon die halbe Zugfahrt. Es war, als würde ich da weiter machen, wo ich 2019 alles verlassen hatte. Ja, ich war zwischendurch zu Hause, aber nie so final wie jetzt wieder. Mit (fast) allen meinen Sachen, den Möbeln, Pflanzen, und Büchern, die sich über die letzten Jahre angesammelt hatten. Dieses Mal war es nicht nur ein kurzer Besuch zu Hause, wo ich meine nächsten Pläne austüftelte, sondern volle sechs Monate Praktikum, mit wenig Ahnung, was ich danach mit meinem Leben anfangen sollte.
Aber gleichzeitig war es dann doch nur nach Hause kommen. Meine Familie sehen, mit Melina am Grenzstreifen spazieren gehen, die Jungs im Schmittz treffen, zusammen mit Carlotti in die Bib gehen. Und tatsächlich hatte ich auch gar keine Zeit, um Rotterdam zu trauern und mich wieder in Berlin einzurichten. Schlau wie ich war, bin ich 48 Stunden vor dem Start meines Praktikums zurückgezogen und wurde auch direkt ins kalte Wasser geschmissen. Gut, dass ich zwei Geburtstagsfeiern geplant hatte, somit konnte ich direkt wieder ein bisschen Vorfreude schaffen. Und wie immer, war es ein Fest. Zweimal feiern, weil die eine Hälfte von meinen Menschis an dem einen, und die anderen an dem anderen Wochenende Zeit hatte, war schon sehr witzig. Aber das Schönste war einfach, alle wieder zu sehen. Ja, ich musste meine Masterarbeit noch schreiben, aber die Gedanken hab ich für die Feiern ganz elegant beiseite geschoben. Die Lüneburg-Menschis kamen, Laurie war aus London zu Besuch, Emily machte sich auf den Weg von Göttingen, und die Berlin Leute waren sowieso am Start. Papa spielte ein paar Runden Rage Cage mit, Bierball war mittlerweile Tradition und wurde vollends ausgekostet, und die erste Feier endete mit einem sehr spontanen Sprung in den Pool um 2 Uhr morgens.
Kurz bevor ich bei meinem Praktikum in die Vollzeit überging, wurde eine letzte "Auszeit" eingelegt. Mit Bjarne und Sarah und noch einer Freundin von Sarah ging es nach Ferropolis aufs MELT Festival. Nachdem ich mich im Tetris-Style noch ins Auto reingequetscht hatte, begann das mit Abstand entspannteste und beste Festival überhaupt. Wir fanden direkt einen Parkplatz, luden alles in den Bollerwagen, und stratzten Richtung Camp. Die Sonne schien, die ersten Techno-Töne brummten aus Teufel-Boxen, und wir schwitzten uns einen ab. Nach ungefähr 10 Minuten suchen fanden wir einen perfekten Spot am Waldrand, der an den See grenzte, auf einem Abschnitt wo nur noch ein anderes Camp am Start hatte. So chillig hab ich die Zeltplatzsuche noch nie erlebt. Auf dem Hurricane haben Henrike und ich meistens schon das erste Bierchen auf dem Parkplatz angefangen, um uns auf die ewige Strecke und den Kampf um einen Platz vorzubereiten. Im nu stand unser Camp, Erfrischung gab es im See mit Blick auf den Sonnenuntergang, und dann begann schon dieerste Tanzsession. Falls nicht alle von euch Ferropolis kennen - es ist eine riesige, stillgelegte Baggergrube, die in ein Eventgelände umgewandelt wurde. Die Kräne stehen noch, genauso wie die Schienenanlage und Container. Ein besseres Ambiente für ein Techno-Festival gibts nicht. Nachdem wir mit sehr müden Beinen ins Zelt fielen, begann auch schon der Sturm. Zwischendurch dachte ich, unser Zelt hebt gleich ab. Nachdem sich alles ein bisschen gelegt hatte, wagte ich den Blick nach draußen. Geradeaus: ein völlig zerstörter Pavillion, Wasser in meinen guten Lidl-Boots, und herumwehende Müllsäcke. Rechts: Sarah, die genau wie ich ihren Kopf aus dem Zelt steckte. Ein stummer Blick und wir legten uns wieder hin. Bis eine Lebensgefahr-Warnung vom Festival selbst kam, dass alle sich nach Möglichkeit in Sicherheit bringen sollten, da eine Blitzfront übers Camp fegen sollte. Im Bikinioberteil und FlipFliops flohen wir in die Zivilisation und kauften kurzerhand einen neuen Pavillion im Baumarkt. Ab da ging es steil bergauf. Das Wetter war wieder normal, wir erneuerten unser Camp, freundeten uns mit den Jungs von nebenan an (ihr Camp war auch zerstört) und tauften unsere kleine Insel "Bermudadreieck". Der Rest des Festivals bestand eigentlich nur aus Tanzen, extrem guter Musik, und Tütenravioli. Besser gings nicht.
Zurück im echten Leben musste ich mich wohl oder über mit meinem Leben abfinden: Masterarbeit und Arbeit. direkt nach dem Festival auf Dienstreise zu gehen und mit maximalem Schlafentzug im Teamworkshop in Bonn zu sitzen war auch nicht gerade ein Paradebeispiel meiner Planungsfähigkeiten. Aber: ich habs gepackt (mit ganz kleinen Powernaps, wenn niemand hingesehen hat). Über die Masterarbeit mag ich jetzt gar nicht schreiben, nicht, dass ich noch PTSD oder so entwickle. Einen Tag nach der Abgabe verabschiedete ich mich direkt und flog nach Sardinien, um mich für 10 Tage mit Henrike an den Strand zu chillen. Wenn Henrike und ich eins können, dann Urlauben und Zweisamkeit. Unser Leben bestand nur noch aus Schlafen, Sonnencreme, Campari-Spritz am Morgen und Pizza Funghi am Abend. Nach 3 Tagen am Strand liegen sah ich auch wieder aus wie ein Mensch, und weniger wie ein Bib-Geist. Einen Tag mieteten wir uns einen roten Fiat 500 und düsten über die Insel. Fast wie früher. Und wie immer ging die Zeit zu schnell zu Ende. Braungebrannt und mit 2000 neuen Sommersprossen und Salzwasser-hellen Haaren kam ich in Berlin an.
Nach drei Wochen fand meine Paranoia, dass ich meinen Master nicht bestanden hatte und das gesamte letzte Jahr vergebliche Arbeit war, ein Ende. Ich saß gerade mit Amelie, einer Kollegin von der GIZ mit der ich mich sehr gut verstehe, in einer Bar im Gleisi, als die Email kam. Ich wusste nicht, dass ich so viele Emotionen auf einmal fühlen konnte. Ich hatte es geschafft. Ich war fertig. Das Jahr voller Selbstzweifel und endlosen Polak-Sessions war es wert. Lachend, weinend, zitternd und glücklich rief ich sämtliche Menschis an, die sich die vergangenen Wochen mein Rumgeheule anhören mussten. Amelie gab mit Abstand den besten Kommentar: "Ich hol Shots".
Die nächsten Wochen plätscherten vor sich hin. Arbeiten, Sport, Menschis sehen. Ein Rhythmus, wie ich ihn das letzte Mal im FSJ hatte. Ich fuhr nach Göttingen, um Emilys Geburstag zu feiern, und verlängerte spontant um einen Tag, weil wir nie genug Zeit haben. Abgesehen von einer sehr wilden Feier (bei dem Bild oben sind wir beim Tanzen umgekippt und auf der Couch gelandet) war es einfach nur schön. Ein langes, ausgedehntes Frühstück, in der Sonne sitzen, Spikeball spielen, und zum Abend hin zusammen mit Christian und Fabio (Emilys Mitbewohner) durch die Kleingärten spazieren. Eine Woche später ging es direkt wieder nach Niedersachsen, diesmal nach Lüni, um Sarah und meine Großeltern zu besuchen.
Am Freitag ging es nach Rotterdam, wo ich Silvi und Fleur wieder sah. Und: der Master fand endlich einen Abschluss. Mit unseren Diplomen in einer Plastiktüte gingen Silvi und ich erstmal shoppen, was schon ein bisschen random war, aber durch den Abstecher in der Smitse auch extrem amüsant. Samstag ging es zu unserem Lieblingscafe und natürlich durfte ein Flat White bei Crave nicht fehlen. Die Kellnerin der Gele Kanarie (Stammbar) schaute mich nur sehr nachdenklich an, und fragte dann, ob ich hier nicht schon öfter war. @Greta, wir haben dort definitiv zu viel Geld gelassen haha. Abends fuhren Silvi und ich nach Brüssel, wo Silvi gerade Praktikum macht. Faszinierend, wie sehr man Menschen vermissen kann, obwohl man sie gerade neben sich hat.
Um jetzt noch mal die Kurve zum Blogtitel zu schaffen; nein, ich habe keine Ahnung, was nach dem Praktikum kommt. Abegesehen von Reiseplänen ist alles ungewiss. Ich weiß nicht mal, in welche Stadt ich soll. Berlin? Gerade jetzt, wo auch Greta wieder da ist? Oder doch nach London, um das Leben weiterzuführen, was ich nie ganz loslassen konnte? So viele Entscheidungen. Und mit dem Ende der Rotterdamzeit kommt noch mehr Ungewissheit. Wann sieht man sich wieder? Wird man es so regelmäßig schaffen, sich zu sehen, wo alle neue Lebenswege einschlagen und die Studi-Zeit endgültig vorbei ist? Das einzige, was man gerade planen kann, ist tatsächlich nichts. Ich glaube, ich mach mal ein paar Listen, um die Ungewissheit ein bisschen einzugrenzen. Bis dahin, Freunde der Sonne (oder des Regens momentan), werde ich einfach weiter random, melancholische, und viel zu lange Blogs für die allgemeine Unterhaltung schreiben. Ganz viele Bussis an euch!
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