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Das Ende

  • Autorenbild: Johanna
    Johanna
  • 28. Juni 2022
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 20. Juli 2023

Neun Monate. Neun Monate, die ich in London gelebt habe. Wenn ich durch die alten Blogs scrolle, fallen mir hauptsächlich meine Kommentare über die Zeit auf. Zeit, die nicht vergeht, Zeit, die zu schnell vergeht, Zeit, die sich nicht nach Zeit anfühlt. Aber jetzt ist es so weit, ich schreibe meinen letzten Blog über London.



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In den vergangenen Jahren sind viele unerwartete Dinge passiert. Ich bin von Berlin nach Lüneburg gezogen, womit ich absolut nicht gerechnet hätte, und dann stand die Welt für fast zwei Jahre still. Ich bin weitergezogen, in ein fremdes Land, eine neue Stadt. Aber bis jetzt haben sich diese unerwarteten Dinge als die besten überhaupt herausgestellt. Mein erstes Semester in Lüneburg war ein einziger Rausch aus gelebter Freiheit und ich habe mit Henrike und Bjarne eine Mini-Familie in unserer WG gefunden. Auch wenn Corona so viel kaputt gemacht hat, ohne die Pandemie wäre ich wahrscheinlich niemals ins Ausland gegangen. Und wenn ich jetzt auf die letzten Monate zurückschaue, wüsste ich nicht, was ich ohne die Erfahrungen, die ich hier gesammelt habe, machen würde.


Ich glaube, ich brauche diesen einen letzten Blog, um mit der Zeit hier abzuschließen. Auch wenn mir bewusst es, dass es nicht so einfach sein wird. Aber trotzdem, sich die Vergangenheit in Erinnerung zu rufen kann manchmal mit der Gegenwart helfen.


Vor über einer Woche bin ich nach Deutschland geflogen, um aufs Hurricane Festival zu gehen. Das bedeutete auch, dass ich nicht mitbekam, wie alle meine Freunde ausgezogen sind. Im Wohnheim gibt es ein zentrales Auszugsdatum, und die meisten meiner Leute haben es wahrgenommen. Und so stand ich am Mittwochabend in der Küche und musste Kesha verabschieden. Ich hasse Abschiede. Ich kann es nicht. Ich kann die Person nicht ewig umarmen und die Sache noch länger hinauszögern. Meistens mach ich kurzen Prozess, dreh mich um und versuche, nicht zu weinen. Gott sei Dank wusste Kesha das. Nur hat es den Abschied nicht leichter gemacht. Wie soll man einem Menschen tschüss sagen, mit dem man fast jede Stunde eines jeden Tages über neun Monate hinweg verbracht hat?


Aber wir haben es geschafft. Wir hatten auch nicht wirklich eine Wahl. Der einzige Trost ist die Aussicht auf unsere Besuche, wenn ich wieder in London bin und meine Mädels nach Lüneburg kommen.


Als ich am Montagabend wieder nach Hause kam, war das Licht in der Küche aus. Für einen kurzen Moment dachte ich, dass alle in der Küche sitzen würden, wir uns von den letzten Tagen erzählen und ich mit heiserer Stimme meine Lieblingsauftritte schildere. Doch das Townhouse war leer. Niemand war da. Und es fühlte sich sofort weniger nach „nach Hause kommen“ an. Denn wie ich auch in Lüneburg gelernt habe, die Wohnung oder Stadt sind nicht wirklich die Heimat. Es sind die Menschen, die einen dort erwarten. Und London ist einfach nicht London, wenn meine Freunde nicht hier sind. Das Wissen, dass Zoya noch neben mir wohnt, bis wir beide weiterziehen, war der einzige Trost. Wenigstens nicht ganz allein im Haus.


Dieses Jahr hat mir sehr viel gegeben. Nicht nur neue Freunde von der ganzen Welt. Ich bin mehr „Ich“ geworden. Ich hatte meinen Job, bin (meistens) zur Uni gegangen und hab einfach nur in den Tag hineingelebt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal ein Leben ohne zehn To-Do-Listen und einen Plan genießen könnte. Auch das haben mir meine Freunde hier mitgegeben.


Jeder Tag war einzigartig. Egal, ob wir spazieren waren, in Camden, Soho, Hampstead oder Covent Garden. Egal, ob unser nächtlicher Weg in eine Bar, Live-Musik Location oder einen Club geführt hat. Wir haben Ausstellungen und Museen besucht, waren in Restaurants oder saßen mit unseren Laptops in Cafés. Kilo-Sales und Pop-Up-Stores, Märkte und spontane Eiscreme-Einkaufstrips. Mal einen Tag ans Meer, einen anderen nur in der Küche gesessen und nichts getan. Wir haben in unseren Zimmern gechillt, uns vom Bahnhof abgeholt, wenn jemand verreist war. Wir haben uns hochgezogen, wenn jemand traurig war. Wir haben über Jungs und Freunde und unsere Heimat geredet. Wir haben London entdeckt und uns in die Stadt verliebt, die zu jeder Zeit lebendig ist. Wir haben gelacht und waren ernst, und unsere Freundschaften wurden einfach selbstverständlich.


Wie soll man auf diese Dinge verzichten, wenn man sie einmal hatte?


Seit ich hier bin, hatte die Welt den Finger auf dem Vorspulknopf. Die Zeit ist gerast und jetzt bin ich am Ende angekommen und fange einen neuen Abschnitt mit meiner Rundreise an. Aber vielleicht war es auch gut, dass alles so schnell ging. Denn wenn man weiß, dass man nicht viel Zeit hat, ist man sehr viel offener. Unsere Freundschaften wurden so schnell intensiv, meistens mit dem Gedanken, dass ich im Herbst nicht zurückkommen werde. Also hatte es auch was Gutes.


Trotzdem. Das Wissen, dass ich nächste Woche meinen Rucksack packe und gehe, will noch nicht ganz in meinen Kopf rein. Ja, ich weiß, dass ich zurückkommen werden. Aber es ist nicht das Gleiche. Ich werde hier nicht mehr leben, mein Mittelpunkt verschiebt sich wieder nach Deutschland. Auch wenn ich dort all meine Freunde und meine Familie hab, mit denen ich auch eine unglaubliche Zeit haben werde, es macht die Sache nicht leichter. Denn ich will noch nicht gehen. Ich will dieses Leben noch nicht hinter mir lassen. Egal, wie sehr ich mich auf meine Reise und auf die Rückkehr nach Berlin freue. Ich bin noch nicht bereit.


Die Erwartungen an dieses Jahr waren hoch. Alle, die schon mal im Ausland waren, meinten, es würde das beste Jahr meines Lebens werden. Ich dachte, egal wie es wird, ich komme raus aus diesem Corona-Loch und kann endlich wieder aufatmen. Viel weiter ging der Plan auch nicht. Und alle Erwartungen wurden mehr als übertroffen. Das Jahr hat sich nicht annähernd so gestaltet, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es war so viel besser. Niemals hätte ich gedacht, all diese Erfahrungen zu sammeln, all diese wundervollen Menschen zu treffen und mich so zu entwickeln, wie ich es getan habe.


Und nächste Woche geht es los. Zwei Monate von Hostel zu Hostel ziehen, einmal die gesamte UK und Irland sehen. Dann weiter nach Paris, Basel, wo ich Maeve besuche, bis hoch in den Norden Deutschlands. Ich kann schon unser Gartentor vor mir sehen, das rote Backsteinhaus in Berlin und meine Eltern, die auf der Terrasse sitzen und lesen. Ich ziehe von einem Zuhause ins nächste.


Das ganze hier sollte eigentlich nicht so emotional und tiefgründig werden. Aber ich glaube, mein Blog war nicht nur für meine Freunde und Familie, sondern auch für mich. Eine Erinnerung, ein Tagebuch, wo all die Details stehen, die man sonst vergessen würde. Unvorstellbar, dass ich den ersten Eintrag vor so langer Zeit geschrieben habe.

Und ich werde auch weiter machen! Für meine Reise habe ich schon ein paar Posts geplant, also wird es da auch weiter Updates geben.


Und das Schöne ist, ich kann jederzeit nachlesen, was ich hier gemacht habe, sollten manche Dinge in Vergessenheit geraten. Der nächste London-Trip ist schon geplant.

 
 
 

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