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Am Küchentisch

  • Autorenbild: Johanna
    Johanna
  • 10. Mai 2022
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 20. Juli 2023


Es ist wieder einer dieser Tage. Ich wache relativ früh auf, esse meinen Porridge im Bett und schaue nebenbei Pretty Little Liars. Leichte Unterhaltung, wo man sein Gehirn nicht allzu doll anstrengen muss. Das spannendste an diesem Morgen sind die Blaubeeren in meinem Porridge, die so groß sind, dass ich mir mittlerweile sicher bin, dass sie genmanipuliert wurden. Der Himmel ist grau an diesem Morgen, und eine Änderung nicht in Sicht.

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Doch trotzdem: meine Laune spiegelt nicht das Wetter wieder, im Gegenteil. Ich bewege mich zu Techno-Jazz-Musik, meine neueste Entdeckung auf Spotify und laufe irgendwann rüber ins Fork, um zu backen. Im Café ist es warm, vereinzelte Kundschaft trinkt Kaffee aus weißen, dicken Tassen und der Geruch von geschmolzenem Käse liegt in der Luft. Jess arbeitet am Laptop an einem der hinteren Tische, James steht an der Kaffeemaschine und gießt Muster in ein Latte-Becher.


Nach einem kurzen Einkaufstrip steige ich die Treppe runter in die Küche, hole meinen Lautsprecher raus und suche mir tanzend meine Zutaten zusammen. 30 Minuten später riecht die gesamte Küche nach Schokoladenbrownies mit einer leicht bitteren Espressonote. 60 Minten später mischt sich der Duft von Cookies dazu, zuckrig und weich. Noch immer habe ich das Gefühl, als hätte ich heute absolut nichts vollbracht. Nachdem ich die Teller voll mit Gebäck hoch gebracht, Jess und James verabschiedet habe, trete ich also wieder den Heimweg an.


Der Niesel hat aufgehört, die Luft ist schwül und die Temperatur eine Mischung aus „ich brauche nen Pulli“ und „ich könnt jetzt auch im T-Shirt rumlaufen“. Gefühlt habe ich meine Mädels aus dem Townhouse seit Wochen nicht gesehen. Entweder war ich weg, hatte Besuch, oder die anderen waren weg, unterwegs und wir verpassten uns immer wieder. Der Klausurenzeitraum hat gestern begonnen und seitdem herrscht Ausnahmezustand bei allen meinen Freunden. Da ist es auch egal wie oft ich sage, man müsse nach dem Motto „minimaler Aufwand, maximales Ergebnis“ studieren.


Als ich die Tür zum Townhouse mit meiner Keycard öffne, höre ich schon die vertrauten Stimmen. Kesha und Laurie am Laptop, nach Wohnungen suchend, Maeve, die sich gerade Essen in der Mikrowelle warm macht. Diesmal ist es wirkliches nach Hause kommen.


Drei Minuten später sitze auch ich am Küchentisch, beantworte Mails und versuche ein bisschen was für mein Seminar zu lesen. Leider ist es so langweilig und erscheint mehr als unnötig, dass ich eher nach schönen Cafés in London suche, als dass mich auf den Text konzentriere.


Mein Lautsprecher liegt in der Mitte vom Küchentisch, Maeve startet ein Groupsession auf Spotify und ab und zu hört man Kesha mitsummen. Zoya kommt dazu, auch mit ihrem Laptop bewaffnet. Es ist so eine entspannte und gleichzeitig natürliche Atmosphäre, dass ich es gerade kaum in Worte fassen kann. Einfach wieder mit den Mädels zusammensitzen, lächeln, wenn einer unsere Songs spielt und sich aufregen, wenn man sich schon wieder von Pinterest und Instagram hat ablenken lassen. Genau das sind die Tage, an die man sich schwer erinnert, weil sie einem so normal vorkommen.


Ich weiß, dass wir hier noch mindestens bis abends sitzen werden. Sobald die Jungs nach Hause kommen und rastlos in der Küche ihre Toasts verschlingen, hängen wir hier meist bis 3 Uhr morgens fest. Doch jetzt gerade genieße ich diese Art von Zusammensein, wo wir so lange keine Zeit mehr zusammen verbracht haben.


Wir reden nicht darüber, dass das unsere letzten Wochen hier in London sind. Wir reden nicht darüber, dass wir im Sommer nach Hause gehen. Wir reden auch nicht darüber, dass ich im Herbst, anders als die anderen, nicht nach London zurückkommen werde. Wir reden über Daytrips und Spas, Clubnächte, und wie sehr wir uns auf unseren Cornwall-Urlaub freuen. Wir reden über Justin Biebers Dreads und wie teuer Wohnungen in London sind, und ob wir Einkäufe liefern lassen oder wir die Wanderung zum Lidl antreten. Und vielleicht ist das gerade auch der beste Weg. Einfach einen dieser Tage leben.


 
 
 

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